
Fehngebiete
Fehngebiete sind moorige Siedlungsräume in Ostfriesland, geprägt durch Kanäle, Torfabbau, Entwässerung und lineare Bebauung seit dem 17. Jahrhundert.
Fehngebiete sind eine ostfriesische Spezialität: langgestreckte Moorsiedlungen, die sich schnurgerade entlang künstlich gegrabener Kanäle entwickeln. Diese Kanäle dienten ursprünglich der Entwässerung der Hochmoore und dem Abtransport des gestochenen Torfs – dem wichtigsten Brennstoff der Region bis weit ins 19. Jahrhundert. Noch heute prägen Schleusen, weiße Klappbrücken, rote Klinkerhäuser und Windmühlen das Bild dieser Orte, die inzwischen auch touristisch als „Deutsche Fehnroute“ vermarktet werden.
Inhalt
- Etymologie: “Fehn”
- Naturraum und Voraussetzungen
- Torf als Motor: Frühformen der Nutzung bis ins 17. Jahrhundert
- Der Startschuss: Großefehn 1633 und das Emder Unternehmertum
- Expansion im 18. Jahrhundert: Vom Stiekelkamperfehn bis Rhauderfehn
- 19. Jahrhundert: Kanäle, Eisenbahn und Elisabethfehn
- Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
- Technik und Typik der Fehnkultur
- Infrastruktur und Schifffahrt
- Wandel im 20. Jahrhundert
- Naturschutz und Renaturierung
- Tourismus, Wohnen & Landwirtschaft
- Die „Deutsche Fehnroute“
- Deutsche Fehnroute
- Prägende Fehnorte
- Fazit
Etymologie: “Fehn”
Der Begriff „Fehn“ wird oft direkt vom niederländischen veen („Moor“) abgeleitet. Sprachhistorische Quellen zeigen jedoch, dass im Altfriesischen bzw. Mittelniederdeutschen bereits das Wort fên/fan für Moor existierte. Im 17. Jahrhundert übernahm Ostfriesland weniger das Wort als vielmehr eine neue Bedeutungsnuance: „Fehn“ bezeichnete nun eine Moorkolonie mit Kanal – ein terminus technicus der Moorkolonisation. Damit wandelte sich ein altes Wort semantisch durch niederländischen Einfluss.
Das altfriesische fên wurde zum ostfriesischen „Fehn“
Naturraum und Voraussetzungen
Seit dem Holozän bedeckten ausgedehnte Hochmoore große Teile der ostfriesischen Halbinsel. Erst im Mittelalter begann man – mit Unterbrechungen – systematisch, die Moore zu besiedeln. Von den einstigen Moorflächen sind heute nur Relikte erhalten; großräumige Entwässerung und Torfabbau veränderten das Ökosystem tiefgreifend. Aktuelle Programme des Landes Niedersachsen zielen deshalb auf Schutz und Renaturierung der verbliebenen Moorlebensräume.
Torf als Motor: Frühformen der Nutzung bis ins 17. Jahrhundert
Torf diente in Ostfriesland lange als Brennmaterial. Bis Anfang des 17. Jahrhunderts beschränkte sich der Abbau auf Moorränder und Klosterflächen. Erst als der Bedarf stieg und städtische Kaufleute profitable Absatzmärkte (u. a. Hamburg, Bremen) erkannten, wurde die planmäßige Kolonisation der Hochmoore attraktiv. Konflikte zwischen alten Nutzungsrechten der Geestbauern (Upstreekrecht/Aufstreckrecht) und den neuen Fehnunternehmern waren vorprogrammiert.
Der Startschuss: Großefehn 1633 und das Emder Unternehmertum
1633 erhielten vier Emder Kaufleute die Erlaubnis, im noch unerschlossenen Hochmoor bei Timmel Kanäle nach niederländischem Vorbild anzulegen. Die Fehnkanäle sollten entwässern und Torf transportieren – ihre Ufer wurden zur Siedlungsfläche für Kolonisten. Großefehn gilt damit als erste ostfriesische Fehnkolonie und Blaupause vieler weiterer Gründungen.
Expansion im 18. Jahrhundert: Vom Stiekelkamperfehn bis Rhauderfehn
Nach Großefehn folgten zahlreiche Siedlungen in den ostfriesischen Fehngebieten: Stiekelkamperfehn (1660), Spetzerfehn (1746), Warsingsfehn (gegründet ab 1736; weitere Erbpacht 1769), Ostrhauderfehn (1769) und Rhauderfehn (1769) sind nur einige Beispiele. Diese Gründungen zeigen, wie sich das Fehnsystem über Ostfriesland ausbreitete – oft initiiert durch Adlige oder städtische Unternehmer, die Erbpachtverträge mit der Landesherrschaft schlossen.
19. Jahrhundert: Kanäle, Eisenbahn und Elisabethfehn
Im 19. Jahrhundert verband der Hunte-Ems-Kanal (später Elisabethfehnkanal) die Moorgebiete Oldenburgs mit Ems und Weser. Während seines Baus entstanden Moslesfehn (1871) und Elisabethfehn (1880). Der Kanal war zugleich Fehnkanal und Teil eines breiteren Wasserstraßennetzes. Heute gilt der Elisabethfehnkanal als letzter vollständig schiffbarer Fehnkanal Deutschlands.
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
Die Fehnkolonisation war von komplizierten Erbpachtverhältnissen geprägt. Landesherren überließen Obererbpächtern Moorflächen, die wiederum Untererbpächter – die späteren Kolonisten – anwarben. Anfangs waren viele Fehntjer Tagelöhner („Heuer-Leuthe“); erst mit der Kultivierung wurden sie zu eigenverantwortlichen Siedlern in den Fehngebieten.
Saisonarbeiter aus Westfalen und nicht-erbberechtigte Bauernsöhne der Geest fanden hier eine neue Existenz. Mit der Bodenverbesserung in den Fehngebieten (Schlickpumpen, Weißtorf als Stalleinstreu, später Kunstdünger) wandelte sich die Wirtschaftsweise vom Buchweizen- zum Flachs-, Roggen- und Kartoffelanbau, ergänzt durch Viehhaltung.
Technik und Typik der Fehnkultur
Fehnkultur folgte einem klaren Schema: Zuerst wurde ein Hauptkanal in das Hochmoor gegraben, an den man seitlich Entwässerungsgräben („Wieken“) anschloss. Das Wasser wurde in vorhandene Flüsse abgeleitet. Der Torf wurde gestochen, getrocknet und über die Kanäle per Prahm oder Plattbodenschiff (z. B. Tjalk) abtransportiert.
Danach begann die Bodenmelioration: Schlick und Dung wurden aufgebracht, Felder eingedeicht und über Schlickpumpen geflutet. Typisch sind die parallel zum Kanal verlaufenden Straßen, die Vielzahl kleiner Brücken und Schleusen sowie die lineare Bebauung: Fehnhäuser – oft einfache Ziegelbauten, später auch repräsentative Kaufmannsvillen – stehen mit der Giebelseite zum Wasser.
Infrastruktur und Schifffahrt
Die Kanäle der Fehngebiete waren Verkehrsadern. Rhauderfehn besaß einst den wichtigsten Binnenhafen Ostfrieslands; der Schiffbau spielte eine bedeutende Rolle. Museen wie das Fehn- und Schiffahrtsmuseum in Westrhauderfehn dokumentieren diese Vergangenheit. Noch heute passieren Sportboote tausendfach den Elisabethfehnkanal; Schleusen und Brücken sind Teil eines lebendigen Binnenwasserstraßennetzes für Freizeitkapitäne.
Wandel im 20. Jahrhundert
Mit der Mechanisierung der Landwirtschaft sank der Bedarf an Landarbeitern in den Fehngebieten; viele Fehntjer wanderten ab oder suchten Arbeit in Industrie und Dienstleistung. Rhauderfehn etwa gewann 1961 mit dem Reißverschlusshersteller Opti seinen größten Industriebetrieb. In den 1980er Jahren investierte das Land Niedersachsen im Rahmen eines Fehnprogramms in die Erhaltung des historischen Ortsbildes: neue Schleusen, Klappbrücken nach altem Vorbild und Liegeplätze für historische Plattbodenschiffe bewahrten den Fehncharakter und ermöglichten gleichzeitig modernen Verkehr.
Naturschutz und Renaturierung
Die Erkenntnis, dass entwässerte Moorböden massiv Treibhausgase freisetzen, führte zu Renaturierungsprojekten. Das „Programm Niedersächsische Moorlandschaften“ (2014) bündelt Schutz-, Entwicklungs- und Forschungsvorhaben für Moore. Renaturierung in den Fehngebieten Ostfrieslands bedeutet hier oft, Wasserstände anzuheben, Torfstiche zu vernässen und landwirtschaftliche Nutzung anzupassen – ein Spannungsfeld zwischen Kulturdenkmal „Fehn“ und Klimaschutz.

Tourismus, Wohnen & Landwirtschaft
Heute sind Fehngebiete multifunktionale Räume: Landwirtschaft (vor allem Grünlandwirtschaft und Viehhaltung) bleibt wichtig, aber Tourismus gewinnt an Gewicht. Die 173 km lange Deutsche Fehnroute – als Radfernweg und Ferienstraße ausgeschildert – verbindet die bedeutendsten Fehnorte. Prägende Elemente wie Klappbrücken, Mühlen, Backsteinkirchen und Kanäle werden inszeniert und gepflegt. Der Elisabethfehnkanal fungiert als attraktiver Freizeitwasserweg zwischen Weser und Ems.
Die „Deutsche Fehnroute“
Ein besonderer touristischer Anziehungspunkt ist die Deutsche Fehnroute, ein 173 km langer Rundkurs, der seit 1992 die bedeutendsten Fehngebiete Nordwestdeutschlands verbindet. Initiiert vom Apotheker Gustav Schünemann und getragen von einem eigens gegründeten Verein, führt die Route durch Ostfriesland, das Emsland, das Ammerland und den Landkreis Cloppenburg. Sie ist als Ferienstraße und Radfernweg ausgeschildert und erschließt Orte wie Rhauderfehn, Ostrhauderfehn, Wiesmoor, Großefehn, Papenburg oder Augustfehn.
Entlang der Strecke begegnen Reisende der typischen Fehnarchitektur mit Kanälen, weißen Klappbrücken, Windmühlen und historischen Fehnhäusern. Museen, Infotafeln und Lehrpfade vermitteln das technische und kulturelle Erbe der Moorkolonisation. Der Elisabethfehnkanal als letzter vollständig schiffbarer Fehnkanal und eine gut ausgebaute touristische Infrastruktur machen die Route zu einem idealen Vehikel, um die Geschichte, Landschaft und Eigenart der Kultur der Fehngebiete erfahrbar zu machen – als „fahrbares Freilichtmuseum“ im besten Sinne.
Prägende Fehnorte
- Großefehn (ab 1633)
Erste ostfriesische Fehnkolonie, gegründet von Emder Kaufleuten. Die Fehnkanäle an der Flumm schufen nicht nur Entwässerung, sondern auch Siedlungsraum. Heute präsentiert sich die Gemeinde als Zusammenschluss mehrerer Fehndörfer mit lebendiger Erinnerungskultur. - Rhauderfehn (1769)
Aus mehreren Ortsteilen zur Gemeinde fusioniert, bewahrte Rhauderfehn sein Fehnbild durch gezielte Maßnahmen in den 1980er Jahren (Schleusen, Brücken, Liegebecken). Das Fehn- und Schiffahrtsmuseum dokumentiert Kultur und Schifffahrtstradition. - Ostrhauderfehn (1769)
Parallel zu Rhauderfehn gegründet, Teil der klassischen Fehnlinie südlich von Leer. Die lineare Siedlungsstruktur entlang des Kanals ist bis heute sichtbar. - Warsingsfehn (ab 1736/1769)
Vom Arzt Gerhard Warsing initiiert; nach der Weihnachtsflut 1717 zunächst verlegt, dann als Fehnsiedlung ausgebaut. Erbpachtverträge und Kanalbau prägten den Ort. - Stiekelkamperfehn (1660) & Spetzerfehn (1746)
Beispiele früherer bzw. mittlerer Fehngründungen; sie zeigen die lange zeitliche Staffelung der Kolonisation. - Wiesmoor / Rammsfehn (1929/30)
Späte Fehngründung im Kontext staatlicher Siedlungsprogramme; heute bekannt durch Gartenbau und Tourismus.
Fazit
Die Fehngebiete Ostfrieslands sind mehr als historische Relikte. Sie dokumentieren eine einzigartige Kombination aus technischer Ingenieursleistung, sozialer Pionierarbeit und landschaftlicher Transformation. Der Wandel vom Brenntorf-Abbau zur grünen Infrastruktur und zum touristischen Aushängeschild zeigt, wie flexibel diese Kulturlandschaft auf ökonomische und ökologische Anforderungen reagiert. Zwischen Klappbrückenromantik und Moorrenaturierung bleibt das Fehn eine lebendige, vielschichtige Identität Ostfrieslands.