Die evangelisch-lutherische Marienkirche in Marienhafe (Ostfriesland, Niedersachsen) war bis zu ihrem Teilabriss 1829 der größte und bedeutendste Kirchenbau Ostfrieslands. Der im 13. Jahrhundert errichtete Backsteinbau im frühgotischen Stil erreichte die Ausmaße des Osnabrücker Doms und galt als größte Kirche zwischen Groningen und Bremen. Über Jahrhunderte diente die gewaltige Kirche mit ihrem hohen Westturm (dem heutigen Störtebekerturm) als wichtiges Seezeichen an der Leybucht. Einer lokalen Legende zufolge soll der Seeräuber Klaus Störtebeker um 1400 im Kirchturm Unterschlupf gefunden haben, weshalb dieser noch heute seinen Namen trägt.
Wetter in Marienhafe
Bewertung: Marienkirche
Nach der Reformation verfiel die Kirche zusehends und wurde 1829 – 1831 auf ihren heutigen, deutlich kleineren Umfang verkleinert. Heute prägen der mächtige Turm und das erhaltene Langhaus das Ortsbild. Die Marienkirche wird weiterhin für Gottesdienste genutzt und beherbergt mit der von-Holy-Orgel von 1713 eines der bedeutendsten historischen Instrumente Ostfrieslands.
Geschichte
Die Anfänge der Marienkirche reichen weit ins Mittelalter zurück. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass bereits vor 800 n. Chr. eine hölzerne Kapelle auf der erhöhten Kirchwarft von Marienhafe bestand. Im Hochmittelalter wurde um 1000–1050 an dieser Stelle eine kleine Saalkirche aus Tuffstein errichtet, etwa in den Ausmaßen des heutigen Kirchenschiffs. Reste dieser frühen Tuffsteinkirche kamen 1829 beim Teilabbruch zutage – insgesamt rund 1000 Tonnen Tuffstein wurden damals als Baumaterial verkauft.
Im 13. Jahrhundert entstand dann der monumentale gotische Neubau. Urkundlich wird die ecclesia Sanctae Mariae (Kirche der Hl. Maria) zu Marienhafe erstmals am 16. Februar 1250 erwähnt. Die Kirche war als kreuzförmige, dreischiffige Basilika mit Querhaus und mächtigem Westturm konzipiert. Für das kleine Flecken Marienhafe (damals ca. 500 Einwohner) war dieses Gotteshaus ungewöhnlich groß – der Grundriss von etwa 72 m Länge und 32 m Breite kam nahezu an den Osnabrücker Dom heran.
Bis heute ist unklar, wer die Bauherren waren und welchem Zweck die überdimensionierte Anlage dienen sollte. Möglicherweise veranlassten wohlhabende Bauern des Brookmerlandes den Bau, oder er sollte als Zeichen der Macht des Landesherrn (des Münsteraner Bischofs) bzw. des örtlichen Prämonstratenserordens dienen. Auch die Idee eines Marien-Wallfahrtsziels wurde diskutiert, doch scheint eine Wallfahrt erst nach 1462 (als Papst Pius II. Ablässe für den Besuch gewährte) eingesetzt zu haben.
Spätmittelalter
Im Laufe der Jahrhunderte erlebte die Marienkirche glanzvolle Zeiten, aber auch Zerstörungen. 1379 wurde Marienhafe Sitz einer eigenen Propstei (Brocmannia), direkt dem Offizial in Münster unterstellt. Im Jahr 1387 wurde die Kirche durch einen Brand schwer beschädigt. Zum Wiederaufbau trugen die Bewohner des nahegelegenen Westeel bei, deren eigene Kirche nach verheerenden Sturmfluten aufgegeben werden musste – sie schenkten der Marienkirche ihr Baumaterial. In diesem Zusammenhang könnte die Kirche noch erweitert oder reicher ausgeschmückt worden sein.
Der ostfriesische Chronist Ubbo Emmius berichtet um 1600, die Vitalienbrüder (Seeräuber) um Klaus Störtebeker hätten die Kirche um 1400 „noch viel prächtiger ausgestattet, den Turm erhöht und die Mauer mit Toren, die ihnen als Festung dienten, ausgebaut“. Diese Schilderung ist Teil der Störtebeker-Legende (siehe unten) und historisch nicht belegt, doch dürfte der Wiederaufbau nach 1387 der Kirche tatsächlich zu neuem Glanz verholfen haben. Bekannt ist, dass der Westturm um 1460 auf sechs Stockwerke erhöht wurde. Spätestens ab dieser Zeit prägte die Marienkirche mit ihrer imposanten Höhe von rund 70 – 80 Metern die Küstenlandschaft und diente Schiffen als weithin sichtbare Landmarke.
Reformation und Neuzeit
Im 16. Jahrhundert hielt die Reformation Einzug in Ostfriesland. Marienhafe, im Einflussbereich der lutherischen Grafen, wurde evangelisch-lutherisch. 1593 kam es in der Marienkirche zu einem letzten Versuch, die konfessionell gespaltene Grafschaft Ostfriesland (lutherischer Osten, reformierter Westen) kirchlich wieder zu einen. Graf Edzard II. ließ durch seinen Hofprediger Petrus Hesse eine einheitliche Kirchenordnung ausarbeiten, die in Marienhafe beschlossen, aber nie umgesetzt wurde.
In den folgenden Jahrhunderten verlor die Marienkirche an Bedeutung. Da kein Bischofssitz und kein Kloster damit verbunden war, fehlten größere Mittel für Unterhalt und Renovierung. Im 17. und 18. Jahrhundert verfiel der riesige Bau zusehends. 1819 stürzten Teile des Chors und Gewölbes ein und zerstörten den historischen Altar. 1820 schlug ein Blitz in den Turm ein und verursachte einen Brand; die Turmspitze und das oberste Geschoss mussten abgetragen werden.
Teilabbruch 1829 – 1831
Angesichts der Baufälligkeit entschied sich die Gemeinde – nach zehnjährigen Debatten – zu einem drastischen Schritt: Die Marienkirche wurde auf einen verkleinerten Kern zurückgebaut. Ein Bauunternehmer aus Carolinensiel bot an, den Umbau kostenlos durchzuführen, wenn er das Abbruchmaterial behalten dürfe. Im Juni 1829 begannen die Arbeiten, die zwei Jahre dauerten. Chor, Vierung und Querhaus sowie die schmalen Seitenschiffe und die Treppentürme am Westturm wurden vollständig abgerissen. Das erhaltene Langhaus (das heutige Kirchenschiff) behielt zwar seine Grundfläche, doch man entfernte die Gewölbe und kürzte die Mauern auf die Höhe der früheren Seitenschiffe. Die weiten Arkaden zwischen den Pfeilern mauerte man zu und brach darin neue, kleinere Fenster.
Eine neue Ostwand mit zwei Spitzbogenfenstern wurde hochgezogen, und darunter setzte man ein Portal ein. Der Schutt der abgetragenen Teile wurde genutzt, um den Fußboden des Schiffs und der Turmhalle um etwa 1,5 m aufzufüllen. Statt der Gewölbe erhielt die Kirche eine flache hölzerne Decke. Die Orgel, die ehemals auf einem Lettner zwischen Vierung und Chor stand, versetzte man auf eine neue Westempore; darunter wurde ein schlichter Altar aufgestellt. Außerdem installierte man über dem neuen Ost-Eingang eine kleine Empore. Am 30. Oktober 1831 wurde die verkleinerte Kirche feierlich wiedergeweiht.
In den Jahren 1832 – 1834 wurde auch der stehengebliebene Westturm an die neue Situation angepasst. Man setzte aus statischen und ästhetischen Gründen die Höhe herab, indem zwei der sechs Geschosse entfernt wurden – der Turm misst seitdem rund 37 m (statt ursprünglich etwa 70 m). Trotz dieses Einschnitts blieb der Turm imponierend und behielt seine mittelalterliche Fassadengestaltung bei. Die außen sichtbaren Backsteinoberflächen des Turms zeigen bis heute typisch spätromanische Rundbogen-Blenden und Lisenen, im zweiten Geschoss auch Spitzbogenfriese.
20. Jahrhundert
In den 1950er- und 1960er-Jahren besann man sich verstärkt auf den historischen Wert der Marienkirche. 1956 entfernte man den alten Außenputz, sodass das originale Backsteinmauerwerk wieder sichtbar wurde. 1964/65 erfolgte eine gründliche Innensanierung: Der provisorische Altar von 1831 wurde aus dem Westen wieder an die Ostseite der Kirche verlegt, das zugemauerte Ostportal wieder geschlossen, und der Boden im Kirchenschiff auf sein ursprüngliches, niedrigeres Niveau abgesenkt. 1981 legte man auch im Innenraum das Mauerwerk frei (Entfernung des hellen Innenputzes). Die Kirche präsentiert sich seitdem wieder in einem schlichten, backsteinsichtigen Zustand, der an die mittelalterliche Architektur erinnert.
Architektur
Die Marienkirche zu Marienhafe war ursprünglich eine imposante, kreuzförmige Basilika im Übergangsstil von der Romanik zur Gotik. Von diesem Ursprungsbau (13. Jh.) ist durch die Verkleinerung nur das ehemalige Hauptschiff erhalten geblieben. Dennoch lassen sich an dem heutigen Gebäude zahlreiche originale Architekturdetails erkennen. Im Langhaus stehen noch die massiven Rundpfeiler, welche einst Mittelschiff und Seitenschiffe trennten – sie wurden 1830 in die Außenmauern integriert und sind bis zur halben Höhe sichtbar.
Dazwischen sind die früheren Arkadenbögen als zugemauerte Blendfelder erkennbar; in ihrem oberen Teil durchbrechen jetzt die neu geschaffenen Fenster die Mauer. An den Säulenschäften haben sich mittelalterliche Blattkapitelle erhalten, die mit feinem Rankenwerk und versteckten Figuren (kauende Hunde und Menschen) verziert sind. Diese Details vermitteln einen Eindruck vom einst reichen Bauschmuck der Basilika.
Außenimpression
Das Äußere der Kirche wird heute vom mächtigen Westturm und den unverhältnismäßig niedrigen Langhausmauern geprägt. Der gedrungene Eindruck des Schiffs resultiert daraus, dass man es 1830 um etwa ein Drittel seiner Höhe reduzierte. Ursprünglich besaß das Mittelschiff der Basilika ein hohes Satteldach, dessen First etwa bis zur Mitte des heutigen Turms reichte. Noch heute kann man am Turm Reste der alten Dachlinie erkennen. Der Turm selbst (14 m breit) ist ein eindrucksvolles Beispiel norddeutscher Backsteingotik. Er besteht seit dem Rückbau aus vier Stockwerken; jedes Geschoss wird umlaufend von Blendbögen und Lisenen gegliedert.
Im Erdgeschoss findet sich an der Westseite das originale Hauptportal: ein tief in die 3 m dicke Mauer eingeschnittenes spitzbogiges Gewölbeportal. Seine Rippen aus Sandstein tragen verwitterte Figuren und Blattornamente – Reste des einst reichen Figurenschmucks, der auch an Chor und Querhaus vorhanden war (hier standen außen in Nischen insgesamt 46 Statuen, von denen nur zwei Bruchstücke erhalten sind). Oberhalb des Portals öffnet sich die hohe Turmhalle zum Langhaus hin. Den Übergang zwischen Turm und Kirchenschiff vermitteln zwei flankierende Treppentürme, die jedoch seit 1830 unvollständig sind (man kappte sie über dem ersten Geschoss).

Kirchenschiff
Das erhaltene Kirchenschiff (heute der gesamte Kirchenraum) ist eine dreijochige Halle von etwa 34 × 23 Metern Grundfläche. Ihre Außenmauern sind ungegliedert und zeigen deutlich die Ausbesserungen und Bruchkanten des Umbaus von 1830. An der Ostwand wurden nach dem Abbruch zwei große neogotische Fenster eingefügt, die den Innenraum heute mit Licht fluten. Das Innere überspannt eine flache hölzerne Decke in Form einer flachen Mulde, die anstelle der früheren steinernen Gewölbe eingezogen wurde. Der Fußboden liegt nach der Restaurierung von 1964 wieder auf dem ursprünglichen Niveau, sodass man heute eine beeindruckende Raumhöhe spürt. Trotz der Verluste vermittelt der Kirchenraum noch immer etwas von der Größe der ehemaligen Basilika.
Ausstattungsstücke
Aus der Bauzeit der Kirche (13. Jh.) stammt das Taufbecken aus Bentheimer Sandstein, das mit 1,06 m Höhe und 1 m Becken-Durchmesser zu den größten der Region zählt. Sein Reliefschmuck – Wellenbänder, Lilien, Palmetten und ein Rundbogenfries – ist typisch für ostfriesische Taufen jener Epoche. Außerdem sind zwei steinerne Figuren (Christus und eine Heilige) im Chorraum aufgestellt, Fragmente des ursprünglichen Figurenschmucks der Außenfassaden.
Ein kostbares Ausstattungsstück aus späterer Zeit ist der barocke Orgelprospekt von 1713, der die gesamte Westempore ausfüllt (siehe unten). Die übrige Einrichtung – Altartisch, Kanzel, Gestühl – stammt überwiegend aus dem 19. und 20. Jahrhundert und ist eher schlicht gehalten, da die mittelalterliche Ausstattung mit dem Teilabbruch verloren ging.
Kulturelle und religiöse Bedeutung
Die Marienkirche, oft auch als „Dom im Brookmerland“ bezeichnet, spielte in Mittelalter und Früher Neuzeit eine herausragende Rolle in der Region. Durch ihre Größe und Lage war sie nicht nur geistliches Zentrum für Marienhafe und die umliegenden Dörfer, sondern auch ein Symbol für Macht und Glauben in Ostfriesland. Im späten Mittelalter soll die Kirche zeitweise Ziel von Wallfahrten gewesen sein, nachdem 1462 ein päpstlicher Ablass für Pilger erteilt worden war. Ob Marienhafe tatsächlich ein größerer Wallfahrtsort wurde, ist mangels Quellen ungewiss, doch der Name Marienkirche deutet zumindest auf eine starke Marienverehrung hin.
Lange Zeit markierte die Marienkirche die Grenze zwischen Land und Meer: Bis in die frühe Neuzeit reichte die Leybucht – eine große Meeresbucht der Nordsee – unmittelbar bis an den Kirchhügel heran. Seefahrer orientierten sich an dem weithin sichtbaren Kirchturm, was der Kirche große überregionale Bedeutung verlieh. Noch heute erinnert der Spitzname „Störtebekerturm“ an die sagenhafte Zeit, als Piraten hier Unterschlupf gefunden haben sollen (siehe unten).
Nach Einführung der Reformation (in Marienhafe ab etwa 1520) blieb die Marienkirche ein lutherisches Gotteshaus und gehört heute zur Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Die kirchliche Bedeutung ging jedoch zurück, da der Ort keinen höheren kirchlichen Institutionen Sitz bot. Gleichwohl fand 1593 in Marienhafe ein bedeutendes Kirchentreffen statt, bei dem versucht wurde, die Konfessionsspaltung Ostfrieslands zu überwinden. Auch wenn dieser Versuch scheiterte, zeigt er doch die einstige Bedeutung der Marienkirche als Versammlungsort der ostfriesischen Stände und Geistlichkeit.
Heute ist die Marienkirche vor allem ein wichtiges Kulturdenkmal und Identifikationspunkt für die Region Brookmerland. Ihr markanter Turm mit der Uhr prägt das Ortsbild von Marienhafe. Vor der Kirche auf dem Marktplatz steht ein Denkmal für Klaus Störtebeker, das Besucher anzieht und die lokale Sagenwelt lebendig hält. Zudem beherbergt der Turm ein kleines Museum (die „Störtebeker-Kammer“), in dem die Baugeschichte der Kirche und die Piratenlegende dokumentiert sind. Insgesamt ist die Marienkirche weit mehr als ein Gotteshaus – sie ist ein kulturelles Zentrum, ein touristischer Anziehungspunkt und ein Stück lebendige Geschichte Ostfrieslands.
Störtebeker-Legende
Ein besonders spannendes Kapitel der Marienhafer Kirchengeschichte ist die Störtebeker-Legende. Klaus Störtebeker, der berühmt-berüchtigte Anführer der Vitalienbrüder, soll der Überlieferung nach um 1399/1400 in Marienhafe Unterschlupf gefunden haben. Nachdem die Vitalienbrüder von der Ostseeinsel Gotland vertrieben wurden, flohen Störtebeker und sein Gefährte Gödeke Michels an die Nordseeküste. In Ostfriesland fanden sie ein zersplittertes Machtgefüge vor, in dem die Häuptlinge untereinander im Streit lagen und teils im Konflikt mit der Hanse standen.
Der Legende nach wurden die Seeräuber vom Brookmerlander Häuptling Widzel tom Brok freundlich aufgenommen – schließlich teilte man einen Feind, die Hansestädte. Marienhafe lag damals strategisch günstig direkt am Meer (nach einer schweren Sturmflut reichte die See bis an den Ort). Störtebeker soll im gewaltigen Kirchturm der Marienkirche gewohnt haben, der mit seinen dicken Mauern als sichere Festung diente. Von Marienhafe aus unternahmen die Likedeeler weitere Kaperfahrten gegen hansische Schiffe in der Nordsee.
Historische Belege für diese Aufenthalte sind spärlich und teils widersprüchlich. Fakt ist, dass um 1400 der Häuptling Widzel tom Brok in Konflikt mit der Hanse geriet und 1400/1401 seine Stellung verlor – vermutlich unter dem Druck der Hansestädte, die die Duldung der Piraten nicht hinnehmen wollten. Am 15. August 1400 wurde in einem Schriftstück des Herzogs Albrecht I. von Bayern (als Graf von Holland und Herzog von Bayern zuständig) die Aushebung der Vitalienbrüder-Basis in Ostfriesland verfügt. Störtebeker entkam der Räumung Marienhafes und verlegte seinen Unterschlupf anschließend auf die Insel Helgoland, wo er jedoch 1401 gefasst und in Hamburg hingerichtet wurde.
Ob Klaus Störtebeker tatsächlich persönlich in Marienhafe weilte, lässt sich mangels zeitgenössischer Quellen nicht endgültig beweisen. Dennoch ist die Sage in der regionalen Überlieferung fest verwurzelt. Der Kirchturm trägt bis heute offiziell den Namen Störtebekerturm, „weil ihm (Störtebeker) in der Marienkirche Unterschlupf gewährt worden sein soll“. Im ersten Stockwerk des Turms befindet sich die sogenannte Störtebeker-Kammer, wo der Pirat der Legende nach geschlafen haben soll.
Dieses kleine Museum zeigt Fundstücke und Schautafeln zur Kirchen- und Piratengeschichte. Vor der Kirche erinnert ein steinernes Störtebeker-Denkmal an den Seeräuber, und das umliegende Touristengebiet vermarktet sich selbstbewusst als „Störtebekerland“. So lebt die Legende im Ortsbild und in Veranstaltungen (z. B. Führungen auf Störtebekers Spuren) bis heute fort, auch wenn Historiker die Erzählungen mangels Beweisen in den Bereich der Sage verweisen.
Umbauten und Restaurierungen
Durch ihre lange Geschichte hat die Marienkirche zahlreiche bauliche Veränderungen erlebt. Die folgende Liste fasst die wichtigsten Bauphasen, Zerstörungen und Restaurierungen vom Mittelalter bis heute zusammen:
- vor 800
Errichtung einer ersten hölzernen Kapelle auf der Warft - ca. 1000 – 1050
Bau einer kleinen Saalkirche aus Tuffstein (Ersatz der Holzkirche) - 13. Jh. (1210 – 1280)
Errichtung der gotischen Basilika (dreischiffig, mit Querhaus und Westturm) - 1387
Großbrand zerstört die Kirche; Wiederaufbau mit Material der aufgegebenen Westeeler Kirche. Mögliche Vergrößerung bzw. prächtigere Ausstattung beim Wiederaufbau (laut Ubbo Emmius) - um 1460
Erhöhung des Westturms auf sechs Stockwerke (Turmhöhe etwa 70–80 m) - 1698/99
Errichtung einer neuen Turmspitze (nach Abnahme der Vorgängerspitze unbekannten Datums) - 1819
Teile des Chorgewölbes und der Ostwand stürzen ein (Altar wird zerstört) - 1820
Blitzschlag und Brand im Turm; Abbruch der ausgebrannten Turmspitze und des obersten Geschosses. - 1829 – 1831
Teilabbruch: Chor, Querhaus, Seitenschiffe und Turmtürmchen abgetragen; Mittelschiffmauern gekürzt; neue Ostwand mit Fenstern und Portal; hölzerne Decke statt Gewölbe; Orgel auf Westempore versetzt. Wiederweihe am 30. Oktober 1831 - 1832 – 1834
Turmumbau: Reduzierung des Westturms von 6 auf 4 Geschosse (Höhe nun ca. 37 m) zur Anpassung an das kürzere Schiff - 1956
Entfernung des Außenputzes von 1830 – Sichtbarmachung des historischen Backsteingemäuers - 1964/65
Innenrenovierung: Altar zurück an den Ostabschluss versetzt, zugemauerte Osttür entfernt, Aufschüttung im Kirchenschiff abgetragen (Boden abgesenkt), Neugestaltung des Innenraums - 1981
Freilegung des Mauerwerks im Innenraum (Entfernung des Putzes), um den ursprünglichen Charakter wiederherzustellen - laufend
Regelmäßige Erhaltungsmaßnahmen an Dach, Mauerwerk und Ausstattung (z. B. Sanierung der Bleiglasfenster, Turmuhr, etc.) – zuletzt 2017 Restaurierung der Turmfiguren
Diese baulichen Eingriffe haben das Erscheinungsbild der Marienkirche stark verändert. Dennoch ist der Kern des Gotteshauses – insbesondere der Westturm und das Langhaus – aus der mittelalterlichen Substanz erhalten. Die Restaurierungen im 20. Jh. bemühten sich, den historischen Charakter wieder hervorzuheben (z. B. durch Freilegen des Backsteins). Heute ist die Marienkirche ein gelungenes Beispiel für die Verbindung von originaler Bausubstanz und rekonstruierter Architektur.
Orgel
Die Marienkirche verfügt über eine der kostbarsten historischen Orgeln in Nordwestdeutschland. Bereits 1437 wird erstmals eine Orgel in Marienhafe erwähnt – gebaut von Meister Thidricus de Dominis im Chorraum. Diese Chororgel gehört zu den frühesten nachweisbaren Orgeln Ostfrieslands; Reste von ihr blieben bis ins 18. Jh. erhalten. Im 16. Jh. besaß die Kirche eine weitere Orgel auf der Westempore, die jedoch 1603 bei Kriegswirren zerstört wurde.
Die heutige Orgel geht auf den Orgelbauer Gerhard von Holy (Esens) zurück, der in den Jahren 1710 – 1713 ein neues Instrument für Marienhafe schuf. Von Holy orientierte sich stilistisch an seinem Lehrmeister Arp Schnitger, sodass die Disposition und das Prospektdesign norddeutsch-barocke Tradition fortführen. Das zweimanualige Werk mit Hauptwerk und Rückpositiv umfasst 20 Register (12 im Hauptwerk, 8 im Rückpositiv); ein fest angekoppeltes Pedal übernimmt die Bassstimmen. Bemerkenswert ist, dass bis auf zwei Pfeifenreihen alle originalen Register von 1713 erhalten geblieben sind.
Die Orgel steht heute auf der Westempore vor der Turmwand der Marienkirche, in einem prächtigen Prospekt im Régencestil. Drei turmartige Pfeifenfelder mit geschnitztem Akanthuswerk und Engelfiguren bilden den Prospekt des Hauptwerks, während das Rückpositiv im Brüstungsfeld darunter die Gestaltung harmonisch fortsetzt. Eine umlaufende Inschrift auf dem Prospekt preist mit Psalm 150 den Lobgesang Gottes „Lobet ihn mit Saiten und Pfeifen“.
Im Laufe der Jahrhunderte erfuhr die Orgel verschiedene Reparaturen und Änderungen. 1778 wurden zwei Register ausgebaut und verkauft. 1952 stellte man das Instrument unter Denkmalschutz. Ab 1966 restaurierte die Orgelbaufirma Ahrend & Brunzema (Leer) das Werk grundlegend, um den Originalzustand wiederherzustellen. Dabei rekonstruierte man verlorene Register (Quintadena 16′ und Trompete 8′ im Hauptwerk) und beseitigte Veränderungen des 19. Jahrhundert 1987/88 erhielt die Orgel ihre historische mitteltönige Stimmung zurück, was ihren charakteristischen Klang weiter authentisierte. Seither erklingt sie wieder so, wie sie im 18. Jahrhundert konzipiert war.
Die Marienhafer Orgel ist klanglich wie handwerklich ein Juwel. Ihr volltönender, zugleich klarer Barockklang macht sie zum idealen Instrument für alte norddeutsche Orgelmusik (etwa von Buxtehude oder Bach). Fachleute würdigen sie als „am besten erhaltene zweimanualige Barockorgel Ostfrieslands“. Entsprechend wird die Orgel nicht nur in Gottesdiensten gespielt, sondern auch regelmäßig in Konzerten präsentiert. Im Rahmen der Gezeitenkonzerte (Festival der Ostfriesischen Landschaft) oder anderer Konzertreihen dient die Marienkirche als atmosphärischer Aufführungsort für Orgelmusik und Ensemblekonzerte. Organisten schätzen besonders die originale Substanz des Instruments – fast alle Pfeifen klingen noch so wie vor 300 Jahren.
Heutige Nutzung
Die Marienkirche ist bis heute ein lebendiger Ort des Glaubens und der Begegnung. Als Pfarrkirche der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Marienhafe finden hier regelmäßig Gottesdienste statt – in der Regel sonntags vormittags – sowie Taufen, Trauungen und Festgottesdienste im Kirchenjahr. Daneben wird die Kirche verstärkt für kirchenmusikalische Veranstaltungen genutzt. Die ausgezeichnete Akustik und die historische Orgel machen sie zu einem beliebten Konzertort, etwa für Orgelkonzerte, Chormusik oder die erwähnten Gezeitenkonzerte der Region.
Auch außerhalb der Gottesdienstzeiten steht die Marienkirche Besuchern offen. Von April bis September ist die Kirche täglich (außer montags) nachmittags verlässlich geöffnet und wird von ehrenamtlichen Kirchenhütern betreut. Dabei können Besucher den Raum in Ruhe besichtigen, Informationen zur Geschichte erhalten oder einfach die Stille genießen. Der 32 m hohe Kirchturm kann in den Sommermonaten ebenfalls bestiegen werden (geöffnet Dienstag – Sonntag, vormittags und nachmittags). Eine enge Wendeltreppe mit 146 Stufen führt hinauf zur Aussichtsplattform, von der sich ein weiter Rundblick über Ostfriesland bietet. Auf halber Höhe passiert man die Glockenstube mit den mächtigen Bronzeglocken von 1967. Für Besucher – insbesondere Kinder – ist der Aufstieg ein Abenteuer, zumal bei vollem Geläut ein ohrenbetäubender Klang die Turmstube erfüllt.
Im Turm und in der Marienkirche werden auf Wunsch Führungen angeboten, bei denen sachkundige Ehrenamtliche die Baugeschichte, die Legenden und die Ausstattung erläutern. Besonders beliebt sind die „Störtebeker-Führungen“, die die Gäste in die Zeit der Vitalienbrüder zurückversetzen. Außerdem finden in der Marienkirche gelegentlich Sonderausstellungen oder Gemeinde-Veranstaltungen statt. So wird der Kirchenraum z.B. für ökumenische Treffen, Orgelvorführungen für Touristen oder Schulgottesdienste genutzt. Seit einigen Jahren feiert sogar eine eritreisch-orthodoxe Gemeinde aus der Region gelegentlich ihre Liturgie in der Marienkirche, was die kulturelle Vielfalt der Nutzung unterstreicht.
Nicht zuletzt ist die Marienkirche ein wichtiger Teil des touristischen Angebots im Brookmerland. Besucher der ostfriesischen Küste machen gern einen Abstecher nach Marienhafe, um den sagenumwobenen Störtebekerturm zu besteigen und das historische Ambiente zu erleben. Der Kirchhof mit seinen alten Grabsteinen und die kleinen umliegenden Gassen vermitteln ein malerisches Bild. Somit dient die Marienkirche heute geistlichen Zwecken ebenso wie der Pflege von Geschichte, Kultur und Gemeinschaft in Marienhafe.
Lage und Anfahrt
Marienhafe liegt im Landkreis Aurich in Ostfriesland, etwa 15 km südöstlich der Nordseeküste (Norden/Norddeich) und rund 20 km nordwestlich von Aurich. Die Marienkirche befindet sich zentral im Ortskern von Marienhafe auf einer historischen Warft (einer flachen Erhebung), umgeben vom Friedhof und dem Marktplatz. Unmittelbar westlich der Kirche schließt sich der Störtebeker-Platz mit dem Rathaus und der Touristeninformation an. Die Adresse der Kirche lautet „Am Markt 20“ – sie ist also leicht im Dorfzentrum zu finden.
Anreise mit dem Auto
Marienhafe ist über die Bundesstraße B 72 gut erreichbar, die von der A31 (Anschluss Emden) über Georgsheil nach Norden führt. Aus Richtung Emden/A31 kommend, folgt man der B72 bis Marienhafe (Beschilderung „Brookmerland“). Parkmöglichkeiten stehen in der Ortsmitte in der Nähe der Kirche zur Verfügung (kostenfreie Parkplätze am Marktplatz oder an der Bahnhofstraße). Auch von Aurich oder Norden führen gut ausgebaute Landstraßen nach Marienhafe.
Öffentliche Verkehrsmittel
Marienhafe besitzt einen Bahnhof an der Bahnstrecke Emden–Norddeich Mole. Im Stundentakt halten hier Regionalzüge (RE 1 / RE 56) aus Richtung Emden/Leer bzw. Norddeich. Die Bahnstation „Marienhafe“ liegt nur wenige Gehminuten (ca. 300 m) südlich der Kirche. Außerdem verbinden Buslinien den Ort mit den umliegenden Gemeinden: z.B. die Linie 411/442 vom ZOB Marienhafe nach Norden und Aurich. Von den Haltestellen „Marienhafe ZOB/Bahnhof“ oder „Tjüche/B72“ ist die Kirche ebenfalls in wenigen Minuten zu Fuß erreichbar.
Vor Ort ist praktisch alles Wesentliche zu Fuß erkundbar, da Marienhafe ein kleiner Flecken ist. Die Marienkirche ragt schon von weitem über die Dächer und weist Besuchern den Weg. Dank der Kombination aus Bahnanschluss und Nähe zu den Küstenorten eignet sich ein Besuch der Marienkirche auch als Halbtagesausflug für Urlauber, die in Norddeich, Greetsiel oder Emden verweilen. Die Marienkirche ist ganzjährig frei zugänglich, und durch die gut ausgeschilderten Wege im Ort (teils als „Störtebeker-Rundweg“) können Besucher das Gotteshaus leicht finden. Somit ist die Marienkirche sowohl mit dem PKW als auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln bequem erreichbar – ein lohnendes Ziel für historisch und kulturell Interessierte in Ostfriesland.
Fazit
Die Marienkirche in Marienhafe ist ein einzigartiges Zeugnis norddeutscher Baukunst, regionaler Geschichte und lebendiger Kultur. Ursprünglich im 13. Jahrhundert als monumentale Basilika errichtet, war sie einst die größte Kirche Ostfrieslands und diente als Seezeichen an der Leybucht. Der imposante Westturm, heute als „Störtebekerturm“ bekannt, erinnert an die Legende des berüchtigten Seeräubers Klaus Störtebeker, der hier angeblich Unterschlupf fand.
Trotz des radikalen Teilabbruchs im 19. Jahrhundert blieben Turm und Kirchenschiff als eindrucksvolle Relikte erhalten. Im Inneren beeindruckt die Kirche mit der prachtvollen Barockorgel von Gerhard von Holy (1713), die zu den bedeutendsten Instrumenten Nordwestdeutschlands zählt. Heute ist die Marienkirche sowohl geistlicher Mittelpunkt der Gemeinde als auch touristisches und kulturelles Zentrum. Gottesdienste, Konzerte, Führungen und die begehbare Turmaussicht verbinden Vergangenheit und Gegenwart.
Ihre zentrale Lage in Marienhafe und die gute Erreichbarkeit machen sie zu einem idealen Ziel für historisch Interessierte, Musikliebhaber und Familien. Die Marienkirche ist ein Ort des Glaubens, der Geschichte und der Legenden – ein echtes Juwel Ostfrieslands.
Kontakt und Location
Kirchengemeinde Marienhafe
Am Markt 20
D-26529 Marienhafe
Telefon: 04934/374
E-Mail: kg.marienhafe@evlka.de
Webseite: Jetzt besuchen
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