An einem sonnigen Morgen schwamm die junge Robbe Ubbo durch die sanften Wellen der Nordsee. Die Luft war frisch, und die Gischt spritzte ihm ins Gesicht. Als er sich auf den Rücken drehte, sah er zum Horizont, wo sich die grünen Deiche wie ein Schutzwall entlang der Küste erstreckten.
„Ich frage mich, was diese großen Hügel bedeuten und wer dort lebt“, dachte Ubbo neugierig. Er hatte gehört, dass dort besondere Tiere lebten, die Deichschafe genannt wurden. Aber warum waren sie so wichtig? Ubbo konnte seine Neugier nicht länger zähmen. Mit einem kraftvollen Flossenschlag schwamm er in Richtung Land.
Die Begegnung mit Dalli
Als Ubbo sich dem Ufer näherte, zog er sich mit viel Mühe auf den sandigen Strand. Der nasse Sand klebte an seinem Fell, aber das kümmerte ihn nicht. Mühsam robbte er den Deich hinauf. Oben angekommen, sah er eine Gruppe von Tieren, die ruhig auf dem grünen Gras weideten.
Eines der Schafe hob den Kopf und betrachtete ihn neugierig. Es hatte ein weiches, schneeweißes Fell und kluge, freundliche Augen.
„Hallo! Wer bist du?“ fragte das Schaf freundlich.
„Ich bin Ubbo, eine Robbe aus der Nordsee! Und du?“
„Ich bin Dalli, ein Deichschaf. Willkommen auf unserem Deich!“
Ubbo rollte sich auf den Bauch und sah sich um. „Was macht ihr hier eigentlich? Ich dachte immer, Schafe leben auf Wiesen und nicht auf Hügeln.“
Dalli lachte. „Oh, wir haben eine sehr wichtige Aufgabe! Wir helfen, die Deiche stark und sicher zu halten. Ein Deich ist ein erhöhter Erdwall, der das Land vor Hochwasser und Sturmfluten schützt. Er verhindert, dass das Meer bei starken Wellen oder Regenfällen ins Landesinnere vordringt. Ohne Deiche wären viele Küstenregionen stark gefährdet.“
Die Arbeit der Deichschafe
Ubbo staunte. „Ihr haltet die Deiche sicher? Wie denn das?“
Dalli begann zu erklären: „Wir fressen das Gras auf den Deichen und halten es kurz. Dadurch bleibt die Grasnarbe fest und schützt die Erde darunter vor dem Wegspülen. Wenn das Gras zu lang wird oder wenn andere Pflanzen wachsen, könnten sie die Deichstruktur schwächen.“
„Aber das ist nicht alles!“ fuhr Dalli fort. „Unsere Hufe helfen dabei, den Boden zu verdichten. Das macht den Deich stabiler und widerstandsfähiger gegen Sturmfluten.“
Ubbo machte große Augen. „Das klingt ja unglaublich! Ihr seid also die Beschützer des Landes?“
Dalli nickte stolz. „Ja, das kann man so sagen! Schon seit vielen hundert Jahren arbeiten wir mit den Menschen zusammen, um die Küste zu schützen.“
Eine lange Tradition
„Seit wann gibt es euch denn hier?“ fragte Ubbo neugierig.
„Schon seit dem Mittelalter als die Ritter lebten!“ erklärte Dalli. „Damals haben die Menschen bemerkt, dass wir Schafe durch unser Fressen und Laufen die Deiche stärker machen. Seitdem haben wir hier unseren Platz. Besonders widerstandsfähige Schafrassen wie das Texelschaf sind ideal für diese Aufgabe.“
„Gibt es denn keine anderen Tiere, die die Deiche pflegen?“ wollte Ubbo wissen.
Dalli schüttelte den Kopf. „Nicht so wie wir! Natürlich leben hier auch andere Tiere – Kaninchen, Vögel und kleine Nager – aber die können den Boden aufwühlen oder Löcher graben, was für den Deich gefährlich sein kann. Deshalb müssen die Menschen darauf achten, dass wir Schafe die Deiche bewirtschaften und keine anderen Tiere überhandnehmen.“
Ubbo war beeindruckt. „Also seid ihr nicht nur Schutzhelfer, sondern auch eine Art natürliche Gärtner?“
Dalli lachte. „Ja, so könnte man es sagen! Wir pflegen die Deiche, indem wir das Gras in genau der richtigen Höhe halten. Und unsere festen Hufe sorgen dafür, dass der Boden schön kompakt bleibt. Ohne uns könnten die Deiche aufweichen und im schlimmsten Fall brechen.“
Ubbo schaute die anderen Schafe an, die gemütlich weideten. „Ihr wirkt so friedlich, und doch seid ihr so wichtig für den Schutz des Landes.“
„Genau! Wir sind so etwas wie die stillen Helden der Küste.“ Dalli lächelte stolz. „Und wir werden unsere Arbeit noch viele Jahre fortsetzen, damit Mensch und Tier sicher bleiben.“
Ubbo kehrt zurück
Ubbo war tief beeindruckt von allem, was er gelernt hatte. „Danke, Dalli, dass du mir das erklärt hast. Ich werde meinen Freunden im Meer von euch erzählen!“
Dalli blökte fröhlich. „Das freut mich, Ubbo! Denk daran, dass wir alle, ob an Land oder im Wasser, eine wichtige Aufgabe haben, um unsere Heimat zu schützen.“
Ubbo zögerte einen Moment und betrachtete noch einmal die sanft wogenden Weiden. „Und wie sieht euer Leben hier sonst aus? Gibt es besondere Zeiten, in denen ihr mehr zu tun habt?“
Dalli überlegte kurz. „Ja, besonders im Winter müssen wir widerstandsfähig sein. Der Wind pfeift über die Deiche, und manchmal stehen wir in dichtem Nebel oder sogar Schnee. Aber wir sind daran gewöhnt, und unser dickes Fell hält uns warm.“
„Und im Frühling?“ fragte Ubbo neugierig.
„Oh, das ist die schönste Zeit!“ erwiderte Dalli begeistert. „Dann werden die Lämmer geboren und springen neugierig umher. Die Wiesen sind frisch und grün, und das Gras schmeckt besonders saftig.“
Ubbo lächelte. „Es klingt, als hättet ihr hier ein gutes Leben.“
Dalli nickte. „Ja, das haben wir. Aber es ist auch eine Verantwortung. Ohne uns wären die Deiche nicht so stabil, und das könnte schlimme Folgen haben.“
Mit einem letzten Blick auf die grasenden Deichschafe robbte Ubbo zurück zum Wasser. Bevor er sich in die Wellen gleiten ließ, rief er: „Danke für alles, Dalli! Ich werde immer an euch denken, wenn ich die Deiche sehe!“
„Mach’s gut, Ubbo! Und vergiss uns nicht!“ rief Dalli hinterher.
Dann verschwand Ubbo in der Weite des Meeres, sein Herz erfüllt von neuem Wissen und Respekt für die stillen Helden der Küste.
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